Dis­kus­si­on oder Demon­ta­ge?

Der selt­sa­me Ent­wurf des BMJV zur Umset­zung des Leis­tungs­schutz­rechts für Pres­se­ver­le­ger nach Art. 15 der DSM-Richt­li­nie. Ein Bei­trag von Dr. Joa­chim Jobi, Lei­ter Poli­tik bei der VG Media.

Bei­trag
Ber­lin, 19.02.2020
Ein Bei­trag von Dr. Joa­chim Jobi, Lei­ter Poli­tik bei der VG Media

Das Bun­des­mi­nis­te­ri­um der Jus­tiz und für Ver­brau­cher­schutz (BMJV) hat am 15. Janu­ar 2020 einen soge­nann­ten „Dis­kus­si­ons­ent­wurf eines Ers­ten Geset­zes zur Anpas­sung des Urhe­ber­rechts an die Erfor­der­nis­se des digi­ta­len Bin­nen­markt“ vor­ge­legt. Unter die­sem etwas sper­ri­gen Titel wer­den neben Rege­lun­gen zu Text and Data Mining auch die Ver­le­ger­be­tei­li­gung und das Leis­tungs­schutz­recht für Pres­se­ver­le­ger adres­siert. Auf die vor­ge­schla­ge­nen Regeln zum Pres­se­leis­tungs­schutz­recht soll hier ein­ge­gan­gen wer­den. Grund­sätz­lich geschützt und damit zu lizen­zie­ren sind nach dem Leis­tungs­schutz­recht alle Inhal­te der Pres­se­pu­bli­ka­ti­on, es sei denn, es wer­den nur „ein­zel­ne Wör­ter oder sehr kur­ze Auszüge einer Pres­se­ver­öf­fent­li­chung“ genutzt. Das ent­spricht zun chst den Vor­ga­ben des Art. 15 der DSM-Richt­li­nie, die sich auch so in § 87g Abs. 2 Dis­kE des BMJV wie­der­fin­den. Was dann aber im drit­ten Absatz des­sel­ben Para­gra­phen folgt, sind eige­ne Wei­tun­gen und For­mu­lie­run­gen, die kei­ne Grund­la­ge in Art. 15 der DSM-Richt­li­nie haben.

Nach Aus­sa­ge des BMJV sol­len die­se soge­nann­ten Regel­bei­spie­le der Kon­kre­ti­sie­rung der Vor­schrift und als „Hil­fe“ bei der Anwen­dung in der Pra­xis die­nen. Danach sol­len Über­schrif­ten, klein­for­ma­ti­ge Vor­schau­bil­der und Ton‑, Bild- oder Bild- und Ton­fol­gen bis zu einer Dau­er von drei Sekun­den (§ 87g Abs. 1 Nr. 1–3 Dis­kE) ohne Zustim­mung der Pres­se­ver­le­ger und ohne Lizenz­zah­lung genutzt wer­den kön­nen. Hier stellt sich nun die ent­schei­den­de Fra­ge, ob die­se „Kon­kre­ti­sie­rung“ durch das BMJV noch mit Wort­laut und Sinn des Art. 15 der Richt­li­nie zu ver­ein­ba­ren ist – nur dann wäre sie näm­lich noch zuläs­sig und euro­pa­rechts­kon­form. Hin­sicht­lich der Über­schrif­ten lau­tet die Ant­wort ein­deu­tig NEIN. Denn die Mit­glieds­staa­ten haben im Rah­men der Ver­hand­lun­gen im Rat qua­li­ta­ti­ve Ansät­ze zur Defi­ni­ti­on der zu schützenden Pres­se­inhal­te ausdrücklich abge­lehnt und es bewusst bei den quan­ti­ta­ti­ven Kri­te­ri­en der „ein­zel­nen Wör­ter und sehr kur­zen Auszüge“ belas­sen.

Wenn nun Über­schrif­ten pau­schal vom Schutz durch das Leis­tungs­schutz­recht aus­ge­nom­men wer­den, wider­spricht das deut­lich dem gesetz­ge­be­ri­schen Wil­len. Über­schrif­ten kön­nen natürlich län­ger sein als ein­zel­ne Wör­ter oder sehr kur­ze Auszüge – mit der Fol­ge, dass sie den Inhalt des Arti­kels, auf den sie sich bezie­hen, voll­stän­dig sub­sti­tu­ie­ren. In der Pra­xis der Such­ma­schi­nen und News­ag­gre­ga­to­ren wird dann die  Über­schrift ungekürzt ange­zeigt, ohne dass die­se Diens­te Ent­gel­te für die dazu­ge­hö­ri­gen Inhal­te an die Pres­se­ver­le­ger zah­len müssten.

Die­ses Ergeb­nis wider­spricht Sinn und Zweck und dem Wort­laut des Art. 15 der DSM-Richt­li­nie. Die­se stellt zusätz­lich in Erwä­gungs­grund 58 fol­gen­de Aus­le­gungs­re­gel her­aus: „Ange­sichts der umfas­sen­den Kumu­lie­rung und Nut­zung von Pres­se­ver­öf­fent­li­chun­gen durch Anbie­ter von Diens­ten der Infor­ma­ti­ons­ge­sell­schaft ist es wich­tig, dass der Aus­schluss von sehr kur­zen Abschnit­ten so inter­pre­tiert wird, dass die Wirk­sam­keit der in der vor­lie­gen­den Richt­li­nie fest­ge­leg­ten Rech­te nicht beein­träch­tigt wird“. Der Wil­le des euro­päi­schen Gesetz­ge­bers ist also unzwei­fel­haft und sehr deut­lich zu erken­nen.

Nicht genug damit, dass die genann­ten Regel­bei­spie­le das Schutz­recht der Pres­se­ver­le­ger aus­höh­len, man will darüber hin­aus nach eige­nem Bekun­den sogar einen „Para­dig­men­wech­sel“ errei­chen – die Din­ge sei­en näm­lich „vom Sach­ver­halt her zu den­ken, das Recht habe sich der Tech­no­lo­gie anzu­pas­sen“.

„Der Wil­le des euro­päi­schen Gesetz­ge­bers ist unzwei­fel­haft und sehr deut­lich zu erken­nen.“

Nun ist nichts Unge­wöhn­li­ches dar­an, dass der Gesetz­ge­ber der tech­ni­schen Ent­wick­lung folgt. Der Para­dig­men­wech­sel liegt für die inter­es­sier­ten Krei­se im BMJV viel­mehr dar­in, mit Hil­fe der erwähn­ten Regel­bei­spie­le die lizenz- und damit kos­ten­freie Nut­zung der Pres­se­inhal­te durch Such­ma­schi­nen und ver­gleich­ba­ren Diens­te für die Zukunft abzu­si­chern und gesetz­lich fest­zu­schrei­ben.

Deut­lich in die­se Rich­tung zielt auch der Vor­schlag des BMJV, wonach das Ver­viel­fäl­ti­gungs­recht der Pres­se­ver­le­ger bei der öffent­li­chen Zugäng­lich­ma­chung durch Diens­te der Infor­ma­ti­ons­ge­sell­schaft kei­ne eigen­stän­di­ge Bedeu­tung haben soll (§ 87g Abs. 1 Dis­kE, sog. Akzess­orie­tät). Im Ergeb­nis erlaubt die­ser Ansatz Such­ma­schi­nen u. a. das Kopie­ren der Pres­se­inhal­te ohne Lizenz, wenn dies von den Diens­ten im Zuge der Kom­mu­ni­ka­ti­on über das Inter­net pas­siert.

„Der vom BMJV inten­dier­te „Para­dig­men­wech­sel“ zielt dar­auf, die Geschäfts­mo­del­le der gro­ßen Digi­tal­un­ter­neh­men abzu­si­chern und ent­kernt gleich­zei­tig das Leis­tungs­schutz­recht“

Dass dies kei­nes­wegs tri­vi­al, son­dern gra­vie­rend ist, zeigt die Pra­xis, mit der die genann­ten Diens­te den Index erstel­len, der Grund­la­ge für die Suche ist. Um hier vali­de Ergeb­nis­se zu gene­rie­ren, wer­den im Hin­ter­grund die gesam­ten Inhal­te der Pres­se­ver­le­ger kopiert und zwi­schen­ge­spei­chert, um dann bei Such­an­fra­gen der Nut­zer die ent­spre­chend dif­fe­ren­zier­ten Ergeb­nis­se lie­fern zu kön­nen. Recht­lich gese­hen ist die­ses Kopie­ren und Spei­chern eine Ver­viel­fäl­ti­gung, die als Ver­wer­tungs­recht den Pres­se­ver­le­gern vor­be­hal­ten ist und von die­sen gegen Zah­lung eines Lizenz­ent­gelts erlaubt wer­den kann. Der Vor­schlag des BMJV in § 87g Abs. 1 nimmt den Pres­se­ver­le­gern aber auch die­ses Recht.

Fazit

Der vom BMJV inten­dier­te „Para­dig­men­wech­sel“ zielt dar­auf, die Geschäfts­mo­del­le der gro­ßen Digi­tal­un­ter­neh­men abzu­si­chern und ent­kernt gleich­zei­tig das Leis­tungs­schutz­recht, das der euro­päi­sche Gesetz­ge­ber den Pres­se­ver­le­gern zuer­kannt hat. Dies ver­stößt ein­deu­tig gegen die Vor­ga­ben der Richt­li­nie und ist euro­pa­rechts­wid­rig. Beim angekündigten Refe­ren­ten­ent­wurf soll­te das vom BMJV unbe­dingt berücksichtigt und
geän­dert wer­den.

Der Namens­bei­trag von Dr. Joa­chim Jobi ist auf medienpolitik.net — Debat­ten aus Medi­en- und Netz­po­li­tik, 19. Febru­ar 2020 erschie­nen und kann unter dem unten ste­hen­den Link abge­ru­fen wer­den.

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